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Liebe Oma

Liebe Oma, danke, dass du noch da bist.

Danke, dass das Leben uns noch so schöne, innige Momente schenkt, wie gestern. Danke, dass deine Demenz manchmal ein bisschen rücksichtsvoll ist und dich mich nicht vergessen lässt. Und selbst, wenn du eines Tages doch meinen Namen vergessen solltest: Menschen, die man liebt, sind fest in unserem Herzen verankert- da kann auch diese Krankheit nichts daran ändern.

Als ich gestern Mittag zu dir ins Heim kam, drückte ich vor der Tür den weit oben angebrachten Klingelknopf. Den drückt man, damit eure Mitarbeiter wissen, dass keiner von euch ausbüxt und sich selbst in Gefahr bringt und jemand die Einrichtung betritt, der sich auskennt. Seit Februar bist du jetzt dort und ja, ein bisschen kenne ich mich mittlerweile aus. Ich kenne Julia, deine sehr nette Bezugsschwester, kenne ein paar deiner Mitbewohner/innen und kenne deinen Tagesablauf ein wenig.

Über eurer Einrichtung liegt tiefe Mittagsruhe. Ich schleiche über den Flur, klopfe leise an deine Zimmertür und schlüpfe schnell herein. „Hallo Oma, ich bin´s, “ sage ich schon im kleinen Vorflur, damit du dich nicht erschreckst. „Hallo, mein Mäuschen, “ höre ich leise aus deinem Bett und du glaubst nicht, wie erleichtert ich jedes Mal bin, wenn du das sagst. Es zeigt, dass du mich noch erkennst, auch wenn ich jetzt schon einige Wochen nicht bei dir war. „Bist du auch so müde? “ fragst du. „Komm´ doch zu mir ins Bett, unter meine Decke.“ Ich gehe kurz auf deine Toilette und überlege: `Wie ist das wohl nach 30 Jahren wieder mit dir in deinem Bett zu liegen?´ Ich gebe zu, ich überprüfe auch, wie es riecht. Fast ein bisschen erstaunt stelle ich fest, dass du da warm und weich und sehr wohlriechend liegst und krieche unter deine Decke. Sofort sind die Erinnerungen bei uns beiden wieder da. Erinnerungen an meine Kindheit, in der ich oft bei Oma und Opa übernachten durfte und dann in der Besucherritze geschlafen habe. Ihr hattet damals Paradekissen und die Federbettdecke war so dick und fluffig, wie ich danach nie wieder eine gesehen habe. Du hast mir dann jedes Mal die Bettdecke aufgeschüttelt, damit sich die Federn gut verteilen. Die Bettwäsche war immer weiß und die Baumwolle aus so guter Qualität, dass sie beinahe unzerstörbar war. Und falls doch mal ein kleines Loch reinkam, hast du es so sorgfältig gestopft, dass man es kaum sehen konnte.

All diese Dinge fielen mir sofort wieder ein, als ich nach so vielen Jahren wieder bei dir im Bett lag und ich wurde sofort ganz entspannt und ein bisschen schläfrig. „Als ich erfahren habe, dass ich Oma werde, habe ich sofort angefangen zu stricken. Ein einziges Enkelkindchen haben wir nur, “ sagst du in meine Gedanken hinein. „Ist ja doch schade, nur ein einziges.“ „Ja, aber besser eins, als keins, “ sage ich. „Es gibt ja auch viele Menschen, die sich Kinder und Enkelkinder wünschen und keine bekommen.“ „Bei uns gab´s 6 Stück. 2 weniger wär´ auch genug gewesen, “ damit meinst du dich und deine Geschwister. „Ja, “ sage ich, „ aber wenn ein Kind zur Welt kommt, muss man sich ja auch freuen. Das hast du immer gesagt.“ Du stimmst mir sofort zu. Ich weiß nicht, wie oft wir diesen Dialog schon so geführt haben, immer mit denselben Worten. Aber ich bin dankbar, dass du da bist, wir hier zusammen kuschelig in deinem Bett liegen und du mir beim reden zärtlich über den Arm streichelst.

Ich erzähle dir, dass wir heute zu Tante Paulas Geburtstag fahren und dass sie heute 95 Jahre alt wird. Sofort fängst du an zu singen: „Viel Glück und viel Segen!“ Und ich singe mit. Du hast dein Leben lang gerne gesungen, aber jetzt in den Jahren mit der Demenz, hast du dich zu einem lebenden Liederbuch entwickelt. Zu fast jedem Stichwort fällt dir sofort ein Lied ein. Schon oft hast du uns damit überrascht und zum Lachen gebracht. Nur, wenn du Hitlerlieder singst, sind wir nicht so glücklich und ich schaffe es mal mehr, mal weniger geduldig darauf zu reagieren. Meist klappt aber umlenken auf ein anderes Lied ganz gut.

Weil das so schön ist, mit dem Singen, singen wir noch: „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien.“ Obwohl das ja eher ein neueres Lied ist, kannst du auch das auswendig. Als wir gerade „Hoch soll sie leben singen“ singen, kommt meine Mama ins Zimmer. Ich rappel mich aus dem Bett hoch und Mama zieht dich von der Bettkannte hoch, um dir beim aufstehen zu helfen. Sie geht mit dir ins Bad und setzt dich auf die Toilette. Es ist noch ein bisschen ungewohnt für mich zu sehen, wie gut und selbstverständlich ihre Handgriffe dabei geworden sind. Du bist ja erst seit Februar hier im Heim. Ich freue mich sehr, weil ich den Eindruck habe, eure Beziehung hat sich dadurch nochmal verändert. Du freust dich, dass sie dich so oft besucht und obwohl dein Kurzzeitgedächtnis nicht mehr funktioniert, spürst du genau, was sie für dich tut und bist dankbar dafür.

Abends nach dem 95sten Geburtstag bringen Mama und ich dich zurück ins Heim. Auf dem Flur trifft Mama eine Mitarbeiterin und unterhält sich mit ihr, während wir schon in dein Zimmer gehen. Du läufst nur noch sehr wackelig, trotz Rollator. Den ganzen Nachmittag Kaffetrinken, mit den vielen Gästen, war sehr anstrengend für dich und du willst nur noch ins Bett. Ich ziehe dir die Schuhe und die Stützstrümpfe aus und hole dein Nachthemd aus dem Bad. „Habe ich noch eine eigene Wohnung?“ fragst du mich. „Nein, das hier ist jetzt deine Wohnung, “ antworte ich dir. „Hier muss ich jetzt bleiben, bis ich sterbe? “ fragst du und schaust dich im Zimmer um. „Ja, “ sage ich. „Ist das denn schlimm für dich? Du sagst doch immer, dass es dir hier so gut gefällt, “ sage ich. „Nein, es gefällt mir hier wirklich gut, “ sagst du. Bei meinem Vorschlag, noch eben die Zähne zu putzen und zur Toilette zu gehen, streikst du und willst nur noch ins Bett. Ich helfe dir und hebe deine Beine rein. Du liegst erschöpft, aber ganz zufrieden da und lässt den Tag noch einmal Revue passieren, wie du es schon immer getan hast. Ich weiß, du kannst dich nicht mehr an viel erinnern, was heute war. Du sagst: „Es war doch wirklich richtig schön heute.“ Das Herz wird nicht dement und so kannst du ganz klar fühlen, dass es heute ein wirklich schöner Tag war. Und auch dafür bin ich dankbar.

Oma, danke, dass du noch da bist und mir gestern 20 Minuten mit dir, geborgen unter deiner warmen Decke, geschenkt hast.

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7 Jahre mit Therapiepferd Jenny

Warum sich ein Traum nicht immer wie ein Traum anfühlt…

…und ich trotzdem keinen Tag bereue.

Heute vor 7 Jahren kam meine Tinkerstute Jenny in unser Leben. Als ich wenige Wochen zuvor zum Probereiten ins Emsland fuhr, lag Schnee und die Straßen waren vereist. Aber ich musste sie einfach kennenlernen und so fuhren wir trotzdem. Eigentlich sollte ich an dem Tag zwei Pferde kennenlernen: Jenny & Harry. Aber kurz vorher schrieb mir die Hofbesitzerin und erklärte, dass sich Harry nicht hatte, von den riesigen Winterwiesen, auf denen die Pferde immer Ferien machen, einfangen lassen. Ich wusste intuitiv: Das macht nichts. Dann soll das so sein. 

Sie passte auf mich und ihre Reiter auf.

Sie stand in einer Box und wirkte darin relativ klein, weil die Box etwas tiefer als die Stallgasse lag. Ich weiß noch genau, wie freundlich und neugierig sie mich begrüßt und beschnüffelt hat. Genauso macht sie es bis heute mit jedem Pferd, Hund, Katze, Mensch. Ich bewundere auch nach 7 gemeinsamen Jahren noch, wie sie es schafft, auf jeden freundlich und offen zuzugehen. Nachdem ich sie beim putzen ein bisschen kennengelernt hatte, ging’s in die Reithalle. Ein Betreuermädel ritt sie dort ohne Sattel. Obwohl sie ja jetzt schon mehr als 2 Monate Ferien auf den große Winterwiesen hatte, lief sie sofort brav ihre Runden. Also wollte ich es auch versuchen. Ich suchte ja schließlich ein Reitpferd, mit dem ich ausreiten gehen konnte. Im Schritt schaukelte sie mich langsam durch die Halle. Ich fühlte mich, auch ohne Sattel, sofort sehr sicher und nach kurzer Zeit trabte ich an. Um ein Haar wäre ich runtergerutscht, denn Jenny fühlte sich an wie eine Billiardkugel. Aber Jenny fiel einfach wieder in den Schritt, machte einen Schritt in die Mitte und hielt an. Ich könnte schwören, sie sagte damals: `Setz dich erstmal wieder richtig hin. Dann machen wir weiter.´ Das machte sie danach noch sehr oft. Sie passte auf mich und ihre Reiter auf. Selbst in für sie sehr beängstigenden Situationen, versuchte sie immer mich nicht zu verlieren. Genauso macht sie es auch mit Menschen (und Tieren) am Boden. Sie ist immer darauf bedacht, mit ihren großen Tellerhufen niemanden zu verletzen. Ich habe oft den Eindruck, dass sie auf kleine Kinderfüße oder die Füße meiner Senioren, die sich oft nur noch langsam bewegen können, besonders aufpasst. Spätestens da war es um mich geschehen und Jenny so zog am 09.03.2013 zu uns. 

Es erschreckt mich bis heute, zu was Menschen fähig sind.

In den ganzen Jahren ging es mir wie Vielen. Ich versuchte alles richtig zu machen, was mal mehr, mal weniger klappte. Ich besuchte Fortbildungen und Kurse zu den Themen: Pferdehaltung, Fütterung, Reiten, Bodenarbeit und vor 3 Jahren machte machte ich sogar die Weiterbildung zur Reittherapeutin. Außerdem entdeckten wir zusammen die Welt. Aber nicht nur die Welt, vor allem auch unsere, besonders meine, Ängste und auch Freuden. Jenny brachte mir bei, sehr genau auf ihre und meine Grenzen zu achten und diese zur Not auch vor anderen zu verteidigen. Ja, es gibt sie noch, die Reitlehrer*innen, die uns im Unterricht über den Platz schrien, uns mit der Peitsche durch die Halle jagten oder Jenny von oben die Beine in den Bauch boxten, weil sie ihr beibringen wollten, fleißig vorwärts zu laufen. Es erschreckt mich bis heute, zu was Menschen so fähig sind. Also lernte ich schnell, vor allem auch nicht mehr zu vertrauen. 

Aber mein Wunsch mehr über diese wundervollen Wesen zu lernen war größer. Und so lernte ich vor 1,5 Jahren endlich auch wieder Pferdemenschen kennen, die mit viel Gefühl für Pferd und Mensch arbeiteten. Und ich lernte endlich auch wieder zu vertrauen. Jennys und meine Freundschaft wurde durch diese gemeinsame Arbeit noch intensiver. Ich konnte sie besser motivieren und wir entwickelten wieder Freude. 

Jeder bekommt das Pferd, was er braucht.

Es gibt einen Spruch bei Pferdemenschen: „Jeder bekommt das Pferd, was er braucht.“ Und ich bekam Jenny, die mir half, mehr über mich zu lernen und mich weiterzuentwickeln. 

Es gab sie auch, die dunklen, schwarzen Moment, in denen ich aufgeben wollte. Ich war so oft überfordert mit meinem Anspruch ein guter Pferdemensch zu sein und Jenny ein gutes Leben zu bieten, dass es oft wirklich anstrengend war. Ich machte Scherze, halb im Ernst, halb im Spaß, und sagte zu eine lieben Bekannten, die auch Tinkerstuten hat: „Wundere dich nicht, wenn Jenny eines Tages vor eurem Haus am Tor angebunden steht.“ An dieser Stelle ein großes DANKE an alle, die sich immer geduldig meine Stall- und Pferdegeschichten angehört haben. Es war nicht immer leicht… Vor zwei Jahren brauchte Jenny dann eine Zahn-OP und musste in die Pferdeklinik. Das war echt ein Problem, denn ich hatte die fast 2000 € nicht, die das kosten sollte. Aber, oft hilft einem das Leben ja doch, wie aus dem Nichts bekam ich einen großen Auftrag und konnte die Rechnung bezahlen. 

Es gab also immer wieder Zeiten, in denen sich der Traum vom eigenen Pferd ganz und gar nicht so anfühlte. Aber es ist wohl wie in jeder Beziehung: In guten, wie in schlechten Zeiten…

Heute freue mich sehr auf viele, viele weitere Jahre mit meiner Freundin Jenny. 

Bildquelle: Sarah Schäfer für http://www.eigenstimmig.de

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Krieg, Demenz & Liebe

Jeden Montagnachmittag hole ich Frau Müller Zuhause ab und fahre mit ihr zu den Pferden. Heute ist ein grauer, trüber Tag und irgendwie nervt mich alles: Das Wetter, die Verkäuferin, die nicht so funktioniert hat, wie ich es gerne hätte und am meisten nerve ich mich selbst. Mit dieser Stimmung klingle ich also bei meiner Klientin. Strahlend öffnet sie mir die Tür und sagt: „Da bist du ja, meine Süße!“ Ich muss sofort lachen und schlagartig ist meine trübe Stimmung verflogen. Sie ist immer eine besonders herzliche, alte Dame, aber das „meine Süße“ ist neu. Ich überlege, warum sie wohl so genau gespürt hat, was ich gerade brauche. Dabei habe ich das schon so oft erlebt. Das Herz wird nicht dement.

Im Auto fängt sie dann an, wie jede Woche, von ihrem Mann und seinen schrecklichen Kriegserlebnissen zu erzählen. Wie er als Soldat in Gefangenschaft war und ein halbes Jahr, ohne Decke, ohne alles auf der Erde schlafen musste. Er wurde dabei sehr krank. Sie erzählt auch von ihren eigenen Kriegserlebnissen und welche Angst sie hatte, als die Bomber, über ihren Elternhof hinweg, Richtung Münster flogen. Wenn die Bomber angegriffen wurden, mussten sie schon vor Münster ihre Fracht loswerden. „Die Bomben fielen und wir Kinder mussten uns in die Gräben zwischen den Feldern schmeißen“, erzählt mir die alte Dame. Ich merke, wie sie, und auch ich in diesen Bildern versinken. Es sind immer dieselben Geschichten von Krieg, Angst und Tod.

Ich unterbreche sie ganz bewusst und mache Musik an. Die alten Schlager, die sie so sehr mag. Noch ist sie tief in ihrer Vergangenheit. Ich unterbreche sie und frage, ob sie das Lied kennt. Sie bemerkt, was ich tue, so dement ist sie noch nicht, und sagt: „Ja, wir wechseln jetzt besser das Thema.“ Ich versuche es mit mitsingen. So langsam kommt sie wieder zurück und bemerkt das Lied: „Rote Lippen soll man küssen“. Sie lacht und erzählt wieder von ihrem Mann. „Mein Mann hat immer gesungen. Zuhause, bei der Arbeit und mit den Kindern. Die hatten dann immer einen Spaß!“ Ich drehe das Autoradio leiser, damit ich ihr besser zuhören kann. Sie singt den Refrain mit und erzählt: „Das Lied hat mein Mann auch immer gesungen. Der konnte richtig gut singen! Und tanzen konnten der!“ Ihre Augen leuchten. „Einmal hat er dieses Lied gesungen und mich beim kochen von hinten mit einem Kuss überrascht.“  Als nächstes Lied kommt „Tanze mit mir in den Morgen“. Dieses Mal singt sie sofort mit. „Ach, wenn mein Mann mich jetzt sehen könnte. Der hätte Spaß! Zu diesem Lied hat er immer mit mir getanzt.“

Ich frage mich, was wohl hilft so schlimme Zeiten zu überstehen. Es ist wohl die Liebe und bestimmt auch Musik.

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Birgit Varwick-Bautsch vom UKM Münster schreibt am 05.04.19:

Ich freue mich gerade riesig über die Empfehlung von Birgit Varwick-Bautsch, der Leiterin des Ermgard von Solms Haus in Steinfurt-Borghorst 🙂 Das ist so eine schöne Kooperation, die mir auch deshalb so viel bedeutet, weil Birgit und ich uns fachlich so gut austauschen. Als Einzelunternehmerin muss ich mir diesen Austausch gezielt suchen, was nicht immer so einfach ist. Ich bin sehr dankbar, dass ich immer wieder fachlich so tolle Menschen treffe, die mich mit Rat und Tat unterstützen. Ohne diesen Austausch wäre meine Arbeit so nicht möglich. DANKE!

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Warum Tiergestützte Therapie?

Warum Reittherapie? Was macht den Lernpartner Pferd so besonders? TAG DER OFFENEN TÜR bei Ameling bewegt.: Vorstellung meiner Arbeit als Reittherapeutin und in der Tiergestützten Therapie. Der wunderschöne Standort „Hohe Heide“ Beckmann in Rheine, liegt direkt am Waldrand. Nur 10 Minuten fußläufig entfernt fließt die Ems (Fluss). Meine Klienten, vom Kind bis zum Senior, finden hier Ruhe und Entspannung. Menschen mit Demenz fühlen sich bei uns angenommen und sicher.