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Pest oder Cholera?

Meine ganz persönlichen Gedanken in dieser Zeit.

Gestern hat die Bundeskanzlerin davon gesprochen, dass wir noch ganz am Anfang der Pandemie stehen. Ganz am Anfang? Was bedeutet das denn genau? Ich glaube, dass es sich für viele Menschen eher so anfühlt, als seien sie längst mittendrin in diesem Wirbelsturm namens Corona. Dann appellierte sie noch an die Strenge, Disziplin und Geduld der Menschen.

Kein Problem für mich. Wir leben in einem Haus mit Garten, haben unsere Tiere, die uns jeden Tag auf andere Gedanken bringen und so lässt sich das mit der Strenge, Disziplin und Geduld ganz gut machen. Ich glaube nur, dass die Probleme vieler Menschen in dieser Zeit sich nicht allein mit Geduld beheben lassen. 

Angela Merkel am 23.04.20: „So können wir heute feststellen, unser Gesundheitssystem hält der Bewährungsprobe im Moment stand.“ 

Das freut mich. Ich habe ja noch die Bilder aus Italien sehr präsent im Kopf. Aber wie geht’s eigentlich dem „größten Pflegedienst unserer Nation“? Wie geht’s den vielen, vielen pflegenden Angehörigen Zuhause? Mehr als zwei Drittel der 2,63 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause versorgt (Stand 2015. Heute dürften es noch mehr sein.). Viele dieser Menschen werden, zur Entlastung der pflegenden Angehörigen, in Tagespflegen versorgt. Tagespflegen gibt es inzwischen in jedem Kuhdorf – so viel Bedarf gibt es. Jetzt sind diese Tagespflegen inzwischen seit 6 Wochen geschlossen. Es gibt einige wenige vollstationäre Notplätze, wenn „alle Stricke reißen“. Aber eine Möglichkeit für eine Tagesbetreuung gibt es nicht. Hinzu kommt, dass die älteren Menschen Zuhause oft so verängstigt sind, dass sie auch die ambulanten Betreuungsangebote nicht mehr buchen. Corona isoliert diese Menschen noch mehr, als es Pflegebedürftigkeit und Demenz eh schon tun. 

Aber wie erreichen wir diese Menschen? Vor einigen Tagen hatte ich ein Webmeeting mit einer großen Organisation, die sonst Angehörigen- und Betreuungsgruppen für Betroffene und pflegende Angehörige anbietet. Immerhin das erste Webmeeting nach „nur“ 6 Wochen, in dem wir darüber geredet haben, wie man den Familien helfen könnte. Ich merke, wie mich das wütend macht. Die Mühlen mahlen ja oft langsam, aber dass in 6 Wochen, außer Telefonaten mit den Angehörigen, nicht mehr passiert ist, macht mich verständnislos. Klar, Webmeetings für Ü-80 Menschen sind nicht so einfach zu organisieren. Aber im Moment brauchen wir einfach neue Ideen, die schnell und unkompliziert umgesetzt werden. Wenn wir die jüngeren Angehörigen oder Bekannten der Senioren mit ins Boot holen, so dass sich die Senioren dann nur noch vor den Laptop setzen müssten, wäre es bestimmte eine gute Möglichkeit zumindest einigen zu helfen. Z.Z. plane ich ein Webmeeting mit einem Musik- und Singangebot für Angehörige und die Betroffene. Vielleicht kann nicht so viel tun. –

Aber nichts machen und auf „nach Corona“ warten, ist für mich keine Option. 

Überforderung und Ängste können auch zu verbaler und körperlicher Gewalt führen. Ein Tabuthema, aber ja, es gibt häusliche Gewalt in der Pflege. Und dagegen hilft, aus meine Sicht, auch nicht, an die Disziplin und Geduld der Menschen zu appellieren. Dagegen helfen nur konkrete Hilfsangebote. – Je mehr und je individueller desto besser. 

-> Wenn Ihr Ideen für Hilfsangebote habt, schreibt mir gerne eine Email an: info@ameling-bewegt.de 

Ich sammle die Ideen dann, veröffentliche sie und sende sie weiter an mein Netzwerk, damit wir gemeinsam möglichst viele Menschen erreichen.

Alles Gute & bleibt gesund! 

Tamara Ameling

Foto by: JFX Pictures Jens Feierabend